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Technische Schulden: Fluch oder Segen für die Softwareentwicklung?

Technische Schulden sind unvermeidlich in der Softwareentwicklung und können strategisch genutzt werden, um kurzfristige Ziele wie schnelle Markteinführungen zu erreichen. Wichtig ist jedoch, sie bewusst zu managen und rechtzeitig abzubauen, um langfristige Stabilität und Wartbarkeit der Software zu gewährleisten. Ein geplanter Umgang mit technischen Schulden ermöglicht es, die Balance zwischen Geschwindigkeit und Codequalität zu halten.

Nico Tomasini

Nico Tomasini

Technische Schulden: Fluch oder Segen für die Softwareentwicklung?

In der Welt der Softwareentwicklung wird oft über technische Schulden gesprochen, häufig in einem negativen Kontext. Doch wie bei vielen Dingen im Leben gilt: Technische Schulden sind nicht per se schlecht. Tatsächlich können sie strategisch genutzt werden, um bestimmte Ziele zu erreichen. In diesem Blog möchte ich die Balance zwischen den Vorteilen und den Risiken technischer Schulden beleuchten und zeigen, wie ein bewusster Umgang mit ihnen die Produktentwicklung unterstützen kann.

Was sind Technische Schulden?

Der Begriff "Technical Debt" (Technische Schulden) wurde 1992 vom Softwareentwickler Ward Cunningham geprägt. Er verwendete diese Metapher, um zu beschreiben, wie kurzfristige Entscheidungen bei der Softwareentwicklung, die aus Zeitdruck oder Kompromissen resultieren, langfristige Nachbesserungen erforderlich machen können.

Technische Schulden entstehen, wenn bei der Entwicklung von Software bewusste Kompromisse eingegangen werden, um kurzfristig bestimmte Ziele zu erreichen. Diese Entscheidungen führen oft zu zusätzlichen Nachbesserungen, die nötig sind, weil die Entwicklung entweder schneller oder nachlässiger durchgeführt wurde. Dabei kann es sich um suboptimale Lösungen handeln, die es ermöglichen, eine Deadline zu erreichen oder eine schnelle Markteinführung zu realisieren.

Die Unterscheidung von Technischer Schuld nach Martin Fowler

Der bekannte Softwarearchitekt Martin Fowler hat das Konzept der technischen Schulden weiter differenziert, indem er sie in vier Kategorien unterteilt: leichtsinnig und umsichtig sowie absichtlich und versehentlich. Diese Unterscheidung hilft dabei, besser zu verstehen, wie technische Schulden entstehen und welche Herangehensweise dahinter steckt. Fowler teilt die technische Schuld in vier Quadranten auf, die je nach Bewusstsein und Absicht variieren.

1. Leichtsinnig und versehentlich

Diese Art von technischer Schuld entsteht, wenn Entscheidungen getroffen werden, ohne das notwendige Wissen oder Verständnis zu haben. Ein Beispiel hierfür wäre: "Was ist Layering?" – ein Zeichen dafür, dass die Entwickler grundlegende Prinzipien oder Best Practices nicht kennen. Hier resultieren die Schulden aus Unwissenheit und unüberlegtem Handeln.

2. Leichtsinnig und absichtlich

In diesem Fall weiß das Team, dass es eine schlechte Entscheidung trifft, wählt diesen Weg aber bewusst aus, oft aufgrund von Zeitdruck oder mangelnden Ressourcen. Ein klassisches Beispiel ist: "Wir haben keine Zeit für Design." Hier wird absichtlich auf Qualitätsstandards verzichtet, um schnell zu liefern, obwohl den Entwicklern die Konsequenzen klar sind.

3. Umsichtig und absichtlich

Diese Form der technischen Schuld entsteht, wenn man sich der Risiken und Konsequenzen bewusst ist, aber trotzdem eine informierte Entscheidung trifft, weil es unter den gegebenen Umständen notwendig ist. Ein typisches Szenario wäre: "Wir müssen jetzt das Produkt liefern und müssen mit den Problemen fürs Erste leben." Hier wird eine bewusste Risikoabwägung vorgenommen, um ein vorrangiges Ziel, wie eine rechtzeitige Markteinführung, zu erreichen.

4. Umsichtig und versehentlich

In dieser Kategorie entstehen technische Schulden aus Fehlern, die erst im Nachhinein als solche erkannt werden. Das Team hatte ursprünglich die besten Absichten und glaubte, eine gute Entscheidung getroffen zu haben, stellt aber später fest, dass es besser hätte gehen können. Ein Beispiel hierfür wäre: "Jetzt wissen wir, wie wir es hätten machen sollen." In diesem Fall wird aus den Fehlern gelernt, und künftige Projekte können davon profitieren.

Diese Unterscheidung von Martin Fowler zeigt, dass nicht alle technischen Schulden gleich sind. Der Kontext und die Intention hinter den Entscheidungen spielen eine große Rolle, wenn es darum geht, wie kritisch diese Schulden bewertet werden sollten und wie man sie zukünftig vermeiden kann.

Technische Schulden sind nützlich, wenn...

  • Wichtige Deadlines erreicht werden müssen: Es kann sinnvoll sein, bestimmte Qualitätsstandards zu senken, um ein Projekt termingerecht abzuschließen.

  • Die schnelle Markteinführung entscheidend ist: In stark umkämpften Märkten zählt oft die Zeit. Ein Produkt kann schneller auf den Markt gebracht werden, auch wenn der Code nicht perfekt ist.

  • Ein MVP (Minimum Viable Product) gebaut wird: Beim Start eines neuen Projekts ist es oft wichtiger, schnell Feedback vom Markt zu erhalten, als perfekten Code zu schreiben.

Doch auch wenn technische Schulden in diesen Fällen nützlich sein können, sollten sie so schnell wie möglich wieder abgebaut werden. Das bedeutet, dass nach der Erreichung kurzfristiger Ziele Zeit für Refactoring eingeplant werden sollte, um die entstandenen Schulden zu beseitigen.

Warum Technische Schulden nicht ignoriert werden sollten

Technische Schulden werden häufig als Synonym für schlechten Code verwendet. Es gibt jedoch einen wesentlichen Unterschied: Technische Schulden sind das bewusste Akzeptieren von Kompromissen in der Qualität zugunsten von kurzfristigen Zielen, während schlechter Code oft aus Nachlässigkeit oder fehlendem Know-how entsteht.

Technische Schulden können auf unterschiedliche Weise entstehen. Es ist wichtig, nicht nur die unmittelbaren Ursachen während der Entwicklungsphase zu betrachten, sondern auch die langfristigen Effekte, die durch das Nicht-Weiterentwickeln der Software auftreten können.

Technische Schulden während der Entwicklung

Technische Schulden entstehen oft direkt im Entwicklungsprozess, insbesondere wenn Teams unter starkem Zeitdruck stehen oder Anforderungen unklar formuliert sind. In solchen Situationen werden häufig Kompromisse bei der Codequalität eingegangen. Einige der häufigsten Ursachen sind:

  • Zeitdruck: Wenn ein Projekt schnell fertiggestellt werden muss, wird häufig der saubere, durchdachte Code zugunsten von schneller umsetzbaren, aber weniger wartungsfreundlichen Lösungen vernachlässigt. Dies kann kurzfristig zu einem fertigen Produkt führen, erfordert aber in der Zukunft aufwendige Nachbesserungen.

  • Unklare Anforderungen: Wenn die Anforderungen an ein Softwareprojekt nicht präzise definiert sind, besteht die Gefahr, dass Entwickler Lösungen umsetzen, die später überarbeitet werden müssen. Änderungen in den Anforderungen führen oft zu schnellen Anpassungen, die nicht optimal integriert sind und somit technische Schulden erzeugen.

  • Unzureichende Tests: Wenn Tests nicht ausreichend oder gar nicht durchgeführt werden, steigt das Risiko von Bugs und Fehlfunktionen, die später behoben werden müssen. Dieser Mangel an Qualitätssicherung führt zu einem langfristigen Wartungsaufwand.

  • Schlechte Dokumentation: Eine unvollständige oder unklare Dokumentation erschwert es den Entwicklern, den Code zu verstehen und zu pflegen. Dies führt zu Mehraufwand, wenn der Code später angepasst oder erweitert werden soll.

  • Unsauberer Code: Suboptimale Code-Strukturen oder übermäßig komplexer Code, der schlecht lesbar oder wartbar ist, sind ein weiteres klassisches Beispiel für technische Schulden. Solche Codefragmente müssen in der Regel bei späteren Updates refactort oder gar neu geschrieben werden, um die Wartbarkeit und Erweiterbarkeit der Software zu gewährleisten.

Technische Schulden durch Nicht-Entwicklung

Technische Schulden entstehen nicht nur aktiv während der Entwicklung, sondern können sich auch durch das Nicht-Weiterentwickeln der Software anhäufen. Software, die nicht regelmäßig gepflegt wird, gerät oft technisch ins Hintertreffen. Diese „unsichtbaren“ technischen Schulden können genauso schwerwiegende Auswirkungen haben wie die Schulden, die durch aktive Entwicklung entstehen:

  • Technologischer Wandel: Technologien und Best Practices in der Softwareentwicklung ändern sich stetig. Neue Programmiersprachen, Tools oder Frameworks bieten oft effizientere oder sicherere Möglichkeiten, Software zu entwickeln. Wird eine bestehende Software nicht regelmäßig modernisiert oder angepasst, entsteht eine Diskrepanz zwischen dem aktuellen Stand der Technik und der eingesetzten Technologie, was die zukünftige Wartung und Erweiterung erheblich erschweren kann.

  • Veraltete Bibliotheken und Frameworks: Bibliotheken und Frameworks werden regelmäßig aktualisiert, um neue Funktionen zu integrieren, Sicherheitslücken zu schließen oder die Performance zu verbessern. Wenn eine Software auf veralteten Abhängigkeiten aufbaut und diese nicht regelmäßig aktualisiert werden, kann das zu Inkompatibilitäten, Sicherheitsrisiken oder eingeschränkter Funktionalität führen. Das Nachziehen dieser Updates kann dann aufwendiger und risikoreicher werden, je länger es hinausgezögert wird.

  • Neue Architekturkonzepte: In der Softwarearchitektur entstehen immer wieder neue Paradigmen und Designmuster, die es erlauben, Systeme skalierbarer, robuster oder leichter wartbar zu gestalten. Unternehmen, die ihre Architektur nicht an diese neuen Konzepte anpassen, könnten langfristig darunter leiden, dass ihre Software schwerer erweiterbar oder weniger effizient ist. Auch das Ignorieren dieser Fortschritte kann technische Schulden akkumulieren, die später aufwändig beseitigt werden müssen.

Diese Art von technischen Schulden, die sich durch Nicht-Weiterentwicklung ansammeln, sind oft schwer zu erkennen, da sie nicht sofort sichtbar sind. Dennoch sind sie genauso kritisch, da sie die Flexibilität und Zukunftsfähigkeit der Software beeinträchtigen.

Wie technische Schulden abgebaut werden können

Technische Schulden müssen ernst genommen und strategisch angegangen werden, um langfristig eine stabile Codebasis zu gewährleisten. Hier sind einige Wege, um technische Schulden zu verringern:

  • Bewusster Umgang mit technischen Schulden Technische Schulden sollten dokumentiert und überwacht werden. Es ist wichtig, stets im Auge zu behalten, wo und warum sie entstehen.

  • Feedback von Entwicklern einholen Die Entwickler wissen am besten, wo sich technische Schulden verbergen. Regelmäßige Team-Meetings können helfen, diese Schulden zu identifizieren.

  • Automatisierte Tests und Tools verwenden Tools wie SonarQube können dabei helfen, technische Schulden zu visualisieren und die Codequalität zu verbessern.

  • Refactoring-Zeit einplanen Es sollte in jedem Sprint Zeit für Aufräumarbeiten (Refactoring) eingeplant werden, um technische Schulden kontinuierlich abzubauen.

Das Projektmanagement von der Wichtigkeit überzeugen

Eine der größten Herausforderungen beim Umgang mit technischen Schulden ist, das Projektmanagement davon zu überzeugen, dass ihre Beseitigung wichtig ist. Hier ist es entscheidend, die Ziele des Unternehmens mit der Notwendigkeit des Abbaus technischer Schulden in Einklang zu bringen.

Drei Argumente können helfen, das Projektmanagement zu überzeugen:

  • Zahlen sprechen lassen: Konkrete Metriken, die die negativen Auswirkungen technischer Schulden auf die Produktivität zeigen, sind oft das beste Argument.

  • Langfristige Probleme aufzeigen: Technische Schulden, die nicht behoben werden, verschlimmern sich über die Zeit und können zukünftige Projekte erheblich verlangsamen.

  • Risikomanagement: Der Aufbau technischer Schulden ist vergleichbar mit einem wachsenden Risiko. Je länger sie ignoriert werden, desto schwieriger und teurer wird ihre Beseitigung.

Fazit

Technische Schulden sind ein unvermeidlicher Teil der Softwareentwicklung. Sie können, wenn sie bewusst eingesetzt werden, sogar ein wertvolles Werkzeug sein, um schnelle Ergebnisse zu erzielen. Wichtig ist jedoch, dass sie stets im Auge behalten und so schnell wie möglich abgebaut werden, um langfristige Stabilität zu gewährleisten. Ein transparenter und geplanter Umgang mit technischen Schulden hilft dabei, die Balance zwischen Entwicklungsgeschwindigkeit und Codequalität zu wahren.

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